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Tipps & Tricks

Dur oder Moll – an ihren Worten sollt Ihr sie erkennen

Durch die bewusste Wahl der Sprache lässt sich der Charakter von Romanfiguren unterstreichen

Von Klaus Eckardt

Wie sehr Sprache und Innenleben eines Menschen zusammenhängen, wusste schon der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel, der vor rund 1900 Jahren schrieb: „Mit der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“ Ein Mensch, dessen Gedanken ständig von Positivem durchdrungen sind, wird demnach heiteren Gemüts sein, während jemand, der pessimistisch und negativ denkt, eine eher schwermütige Seele in sich trägt. So, wie die Gedanken die Seele prägen, prägt im Wechselspiel dazu auch die Seele die Gedanken. Diese Schlussfolgerung hilft uns Autoren dabei, unsere Figuren stimmig sprechen zu lassen. Denn mit ihrem Charakter erschaffen wir ja auch ihre Seele, die sich dem Leser wiederum über die Wortwahl und Ausdrucksweise der Beteiligten erschließt. Wie funktioniert das in der Praxis? Ein hilfreiches Werkzeug, um die Seelen unseres „Personals“ zu entwickeln, ist das LeuchtturmModell (siehe The Tempest Nr. xx bzw. www.klaus-eckardt.com). Damit lässt sich das Innenleben von echten wie erfundenen Menschen auf unterschiedlichen Ebenen schlüssig beschreiben. Ganz oben, sozusagen dort, wo das Leuchtfeuer in die Nacht strahlt, steht die Vision. Sie beschreibt, was den Einzelnen antreibt, was geschieht, wenn alles, was er oder sie sich nur wünschen kann, in Erfüllung geht (im Liebesroman z B. „Ich lebe mit diesem Menschen glücklich bis ans Lebensende“ oder im Drama „Ich werde der unumschränkte Herrscher im ganzen Reich sein“). Im Zentrum des Leuchtturms stehen die Werte, also das, was dieser Figur im Leben wichtig ist. Ganz unten bildet die individuelle Umwelt das Fundament des Ganzen. Kennen wir die Vision und die Werte eines Menschen, können wir zunächst den Grundton festlegen, in dem er spricht. Dur oder Moll, um es in der Sprache der Musik zu sagen. Dur steht für den Heiteren und Klaren, Moll für den Düsteren und Traurigen. Wobei dies ausdrücklich als grundsätzliche Typisierung zu verstehen ist. So, wie in der Musik erst das Zusammenspiel aller Akkorde über das Gesamtbild entscheidet, ist es auch bei der Sprache unserer Figuren. Erst, wenn wir alle ihre Facetten kennen, ist das Bild fertig. Die Sprache einer Figur muss allerdings immer zu ihrem Grundtyp passen – und wo sie das mal nicht tut, muss das „Warum“ für den Leser erkennbar sein. Jemand, der vordergründig immer fröhlich durchs Leben geht, ist natürlich auch mal traurig. Doch das muss erklärt werden und sich in der Sprache niederschlagen. Ein „Dur-Mensch“ drückt sich klar und gezielt aus, in kurzen und prägnanten Sätzen. Der Moll-Typ dagegen ist eher vage, schweift gerne ab, sucht Auswege und Ausflüchte. Wollen wir die Unsicherheit eines Menschen unterstreichen, können wir dies auch durch Füllworte tun, die uns allen geläufig sind. Ein gutes Beispiel dafür ist „eigentlich“. Jemand der – ob im literarischen Text oder im realen Alltag – das, was er sagt mit „eigentlich“ ergänzt, ist sich seiner Sache nicht sicher oder meint vielleicht sogar das Gegenteil. Was bedeutet: „Ich finde dich eigentlich nett“? Sicher nicht das, was die Bedeutung, die der Duden dem Wort gibt vermuten lässt, nämlich: „einer Sache in Wahrheit zugrunde liegend; tatsächlich, wirklich“. Und wenn hinter das „eigentlich“ noch ein „ganz“ gesetzt wird, ist der Fall vollends klar: „Ich finde dich eigentlich ganz nett.“ So können kleine Worte eine große Wirkung im Hinblick darauf haben, wie der Leser eine Figur wahrnimmt. Mit „aber“ funktioniert das ähnlich. Es schränkt das zuvor Gesagte zumindest ein oder verkehrt es sogar ins Gegenteil. „Ich finde dich nett, aber ich mag überhaupt nicht, wie du dich verhältst, wie du dich anziehst und was du sagst.“ Ein kleiner Selbsttest verdeutlicht die Wirkung von „aber“. Lies dazu bitte die folgenden Sätze laut hintereinander und beobachte, wie sich das für dich anfühlt. Mach zwischen den Sätzen eine kurze Pause: 1. Heute scheint sie Sonne, aber morgen regnet es wieder. 2. Heute scheint die Sonne, obwohl es morgen wieder regnet. 3. Heute scheint die Sonne, und morgen regnet es wieder. Den meisten Menschen, mit denen ich diesen Test in meinen Seminaren gemacht habe, vergeht die Freude an der Sonne bei Variante 1 ziemlich schnell. Bei Variante 2 und (am stärksten bei) 3 hat der Gedanke an den kommenden Regen die geringste negative Kraft. Legt man seiner Romanfigur also viele „eigentlich“ und „aber“ in den Mund, ist dies ein einfacher und wirkungsvoller Weg, eine gewisse Unsicherheit und Negativität zumindest zu unterstrichen. Verzichtet man bewusst auf diese oder ähnliche Wörter, erzielt man den gegenteiligen Eindruck.