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Tipps & Tricks

Das Leuchtturm-Modell

Romanfiguren mit dem Leuchtturm-Modell entwickeln 

Von Klaus Eckardt 

Die Entwicklung der Figuren gehört zu den zentralen Punkten bei der Arbeit an jedem Roman. Herangehensweisen gibt es dabei viele: Manche Autoren erarbeiten detaillierte Lebensläufe für jede Figur, andere vertrauen eher auf ihre Intuition und verfeinern die anfangs groben Bilder erst beim Schreiben. Ein Weg, der sich sowohl für die grundlegende Entwicklung des „Personals“ wie auch als zusätzliches Instrument zu jeder anderen Methode eignet, ist die Arbeit mit dem „Leuchtturm-Modell“. Dieses Modell, das jede Figur aus neun verschiedenen, sich aber ergänzenden Perspektiven – oder Etagen eines Leuchtturms – beschreibt, basiert auf den „Logischen Ebenen“ des Amerikaners Robert Dilts. 

Also hereinspaziert in unseren Leuchtturm! 

Fundament: Es symbolisiert die Umgebung des Leuchtturms, legt fest, wo die Figur lebt, in welchem Land, in welcher Stadt, mit wem, in welcher Zeit usw. Sie ist die Basis all dessen, was noch kommt. Verhalten Die erste Etage beschreibt das Verhalten, ohne es zu bewerten. Denn auch wenn die Figur letztlich etwas Böses tut, tut sie das ja nicht um des Bösen willen, sondern aus einem inneren Druck heraus, den es zu beschreiben gilt. Hier geht es ausschließlich um das „Was“. Es leuchtet ein, dass das „Was“ mit dem „Wo“ zu tun hat. Lebt unsere Figur in einer High-Tech-Umgebung, sollte dies nicht gerade das Sibirien des frühen 20. Jahrhunderts ein. Fähigkeiten Mit dem „Wie“ haben wir uns in der zweiten Etage beschäftigt. Jetzt geht es um die Fähigkeiten, die unsere Figur braucht, um die zuvor beschriebenen Dinge zu tun. Werte Ganz zentral in unserem Leuchtturm ist die Etage mit den Werten. Was ist unserer Figur wichtig? Woran glaubt sie? Hier kann es hilfreich sein, Sätze aus der Ich-Perspektive der Figur zu formulieren: „ Mir ist (in meinem Leben, bei der Arbeit, in Beziehungen etc.) wichtig, dass …“ bzw. „Ich glaube, dass …“ Identität Die ersten vier Etagen des Leuchtturms bündeln sich in der Identität. Hier fragen wir unsere Figur: „Wer bist du, der oder die das tut?“ Und sie wird in der Rolle des Krimi-Kommissars vielleicht antworten: „Ich bin ein Mensch der an die Gerechtigkeit glaubt und der diese Gerechtigkeit durchsetzt.“ Die Erfahrung zeigt, dass es zu mehr Klarheit führt, die Dinge positiv zu formulieren, also zu schreiben: „Ich bin …“ statt „Ich bin nicht …“ Zugehörigkeit Einen Stock weiter oben befassen wir uns mit der Zugehörigkeit, also der Frage, wem fühlt sich unsere Figur verbunden. Ist sie Ehemann oder Ehefrau, Mitarbeiter/in in einem Betrieb, Mitglied in einem Verein, einer Partei …?

Lebenssinn Nun geht es in die oberen Etagen zu den etwas schwerer greifbaren Ebenen. Zunächst zum Lebenssinn, der Mission. Große Worte, doch sollten wir uns nicht scheuen, unsere Figuren zu fragen: „Wofür tust du das alles?“ Spiritualität Während wir uns bei der Mission noch mit Antworten wie „für Geld“, „für Anerkennung“ oder „für Liebe“ zufrieden geben, bohren wir bei der Frage nach der Spiritualität (wer das Wort nicht mag, kann auch gerne sagen: nach dem, was dahinter steht) etwas tiefer. Hier können wir die Frage stellen: „Welchem höheren Ganzen dient das, was ich tue?“ Oben leuchtet die Vision Nun sind wir viele Stufen in unserem Leuchtturm hochgeklettert und kommen zum Ausguck, wo sich das große Licht dreht und meilenweit in die Dunkelheit strahlt – eine schöne Metapher für die Vision, die ganz große Idee, die unsere Figur antreibt. Hier kann der Griff in die Vollen nicht zu viel sein. „Ich will die Menschheit vom Bösen befreien“, mag einer sagen. Oder: „Ich will die Welt beherrschen“ – die zentrale Vision aller Bösewichte, gegen die James Bond seit 50 Jahren zu Felde zieht. Müssen die Ebenen logisch aufeinander aufbauen? Das Bild des Leuchtturms zeigt, dass die obere Etage nur dann Bestand haben kann, wenn die unteren sie tragen. Aber es gibt auch marode Türme, die einstürzen– so, wie es widersprüchliche Figuren gibt, die zusammenbrechen, weil bei ihnen nichts wirklich zusammenpasst. Hier gilt für mich, wie in vielen Dingen: Es gibt kein reines Gut und kein reines Schlecht. Weder beim Schreiben noch im richtigen Leben, existiert nur ein einziger Weg. Wichtig erscheint mir, dass Widersprüche bei Romanfiguren bewusst angelegt sind und so eine dramaturgische Bedeutung haben. Mörder haben – aus ihrer Sicht heraus – oft nur die besten Absichten, also Visionen und Werte, die Gutes erwarten lassen, aber sich dann doch ins Böse drehen. Diese Gegensätze schaffen Spannung, werfen Fragen auf, die der Leser beantwortet haben möchte. Der reine Gutmensch ist so interessant wie eine Zeitung mit lauter guten Nachrichten – nämlich überhaupt nicht. Die Arbeit mit dem Leuchtturm-Modell eignet sich auch für die Entwicklung von Gegenspielern. In der gleichen Umwelt, beim gleichen Verhalten und den gleichen Fähigkeiten von Personen, können ganz unterschiedliche Werte und Visionen aufeinanderprallen, die für spannende und interessante Geschichten sorgen. Die Arbeit mit diesem Modell ist Teil meines Seminars „Tatort Schreibtisch – Der Weg zum eigenen Krimi“. Ich freue mich, wenn Ihr mir Eure Erfahrungen mit dem Leuchtturm-Modell mitteilt: post@klaus-eckardt.com. 

Der Verfasser: Klaus Eckardt, Jahrgang 1960, lebt in Tübingen. Er hat drei Kriminalromane veröffentlicht, die alle etwas mit seiner großen Leidenschaft, dem Laufen, zu tun haben. Er arbeitet zudem freiberuflich als Journalist sowie als Kommunikations- und Schreibtrainer. www.klaus-eckardt.com